SCIENTIA

von

Prof. Dr. Hartmann Römer
Professor Emeritus für Feldtheorie und Teilchenphänomenologie
Universität Freiburg

„Der nächstliegende und vordergründige Sinn des Prinzips „Scientia“ besteht sicher in der Erinnerung daran, dass die Aktiven der Hercynia  Studierende an einer Universität sind und ihr Studium ernst nehmen sollen. Das ist beherzigenswert, aber mit „Scientia“ ist noch mehr gemeint:

„Scientia“ ist in wörtlicher deutscher Übersetzung „Wissenschaft“, und Wissenschaft ist nicht nur  einfach „Wissen“, es bedeutet reflektierte Auseinandersetzung mit Wissen und Wissen über Wissen.

Auch wenn sich nur wenige Studenten in unserer Verbindung  zu hauptberuflichen Wissenschaftlern entwickeln werden, sind wir doch alle aufgefordert, im Studium und im Leben über den Erwerb von berufsnötigem Fachwissen hinaus, dem Wissen gegenüber eine offene, nachdenkliche und verantwortliche Haltung zu bewahren:
Wissenserwerb ist auch Befriedigung von Erkenntnisstreben, Wissen hat als solches einen eigenen über die unmittelbare Nützlichkeit hinausgehenden Wert.

Der Bereich des Wissens sollte als offen und jederzeit erweiterbar oder korrigierbar angesehen werden. Voreiligkeit oder Voreingenommenheit bei ausstehenden offenen Fragen ist unverantwortlich.

Nachdenklichkeit über Vorbedingungen, Grenzen und methodische Beschränkungen des eigenen Faches ist gefordert.
Im mühsamen Umgang mit den Schwierigkeiten einer Wissenschaft lernt man Bescheidenheit und die Wertschätzung auch kleiner Fortschritte. Es entwickelt sich eine realistische Einschätzung der Macht und Tragweite des eigenen Denkens. Erkenntnisse fallen uns nicht in den Schoß.

Individuelle und gemeinschaftliche Leistung sind in der Wissenschaft besonders unlösbar miteinander verbunden. Nicht nur steht der Einzelne, wie man sagt, auf den Schultern von Riesen. Er ist jederzeit auf die Gemeinschaft angewiesen, darf sich aber auch nicht hinter ihr verstecken. Ohne den Beitrag Einzelner herrscht Stillstand.

Erworbenes Wissen muss in größere Zusammenhänge eingeordnet werden. Es legt uns Verantwortung auf, der wir ethisch gerecht werden müssen. Die drei anderen Prinzipien unserer Verbindung  können dabei Orientierungshilfe geben.
In der gegenwärtigen  Universitätslandschaft, in der diese Forderungen zugunsten einer rein berufsorientierten Abrichtung in  den Hintergrund gedrängt zu werden drohen, gewinnt das Prinzip „Scientia“ an Aktualität und Dringlichkeit.“