AMICITIA

von

Jürgen Conradi
Direktor des Amtsgerichts a.D

„In der „amtlichen Reihenfolge“ unserer vier Prinzipien wird „Amicitia“ in der Regel als letztes genannt. Last but not least – so könnte man sagen – ist doch das Prinzip der auf Lebenszeit andauernden Freundschaft der verbindungstypischste und damit vielleicht der wichtigste Grundsatz einer Verbindung. Bei allem Respekt vor den Prinzipien „Religio, Scientia und Patria“ muss man feststellen, dass die aus diesen Prinzipien resultierenden Wertvorstellungen auch außerhalb einer Verbindung gelebt und realisiert werden könnten – „Religio“ in kirchlichen Institutionen, „Scientia“ an der Universität und in entsprechenden Gremien oder im Beruf und „Patria“ in Form politischer Betätigung.

Freundschaften kann man natürlich ebenfalls anderweitig schließen. Aber die Freundschaft in dem von uns gepflegten Lebensbund- Prinzip, die in jungen Jahren zu Beginn unseres Studiums geschlossen wird, ein ganzes Leben lang hält – oder halten sollte –  und Ehefrauen und Familien mit einschließt, ist doch eine sehr verbindungsspezifische Form der Freundschaft. Dies rührt sicher einerseits daher, dass solche Freundschaften in den jungen Jahren an der Schwelle ins akademische Leben geschlossen werden und dass gemeinsam begangene jugendliche und studentische Unternehmungen Stoff für spätere Erinnerungen und Erzählungen bei regelmäßigen Treffen  bilden.

Ein essentieller Grund für die Beständigkeit dieser Art von Lebensfreundschaft ist aber auch – und das in sehr bedeutendem Umfang – die grundsätzliche Übereinstimmung in grundlegenden weltanschaulichen Fragen, nämlich der Einstellung zum Glauben, dem gemeinsamen Streben um wissenschaftliche Erkenntnisse und dem Einstehen für unser Vaterland in der Staatsform eines demokratischen Rechtsstaats. So gesehen gründet sich  das Prinzip „Amicitia“ auf die anderen drei Prinzipien und ist in einer Wechselbeziehung gleichzeitig die umfassende Klammer für die Gesamtheit unserer Verbindungsprinzipien.

In meinen nunmehr 94 Couleursemestern durfte ich in vielfältiger Weise die schönen und wertvollen Seiten der praktizierten Lebensfreundschaft bei Hercynia erfahren – mit zahlreichen Bundesbrüdern aus meinen aktiven Semestern, mit älteren oder jüngeren Hercynen  und auch verbindungsübergreifend mit vielen Cartellbrüdern in meinem Heimatort.“